Werkzeug gegen Politikverdrossenheit
Bei der Regionalen Jugendkonferenz in Böblingen haben Schüler die Möglichkeit, Politiker mit Fragen zu löchern Dass die heutige Jugend politikverdrossen sein soll, gilt spätestens seit „Fridays for Future“ als widerlegt. Das Interesse an vielen aktuellen Themen war zuletzt auch bei der Regionalen Jugendkonferenz in Böblingen zu spüren.
Bereits zum dritten Mal fand die Veranstaltung statt, die politisch interessierten Jugendlichen ein Forum bieten möchte. Hier können sich die Schüler mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander setzen und haben zudem die Möglichkeit, sich mit Vertretern aus der Kommunalpolitik auszutauschen. Initiiert wurde das Format von Isaac Gonzalez. Der 47-Jährige unterrichtet Geschichte und Politik am Kaufmännischen Schulzentrum in Böblingen und ist vielseitig im Landkreis engagiert. „Ich möchte, dass junge Menschen Politik nicht nur in der Theorie lernen, sondern auch in der Praxis erfahren“, beschreibt er den Grundgedanken der Veranstaltung. Dafür beschäftigten sich die Jugendlichen morgens in vier Workshops mit den Themen Mobilität und Klima, Integration, Bildung sowie Partizipation an der eigenen Schule. In diesen Workshops erarbeiteten die Teilnehmer ihre Forderungen, die sie nach der Mittagspause den Vertretern der großen Parteien vortrugen. Der Einladung folgten Ingrid Pitterle (Kreisrätin, Die Linke), Pascal Panse (Böblinger Gemeinderat, CDU), Jan Hambach (Kreisrat, SPD), Andreas Knapp (Gemeinderat Sindelfingen, FDP) und Frieder Wurster aus dem Böblinger AfD-Kreisvorstand. Außerdem war mit Jan Zinal vom Landesschülerbeirat Baden-Württemberg ein Vertreter der Schülerschaft mit auf dem Podium.
Integration
Schon morgens wurde im Workshop zum Thema Integration eifrig diskutiert. Viele Schüler hatten selbst einen Migrationshintergrund, einer konnte sogar von eigenen Fluchterfahrungen berichten. Unter Anleitung von Carolin Monfort Montero, der Integrationsbeauftragten des Landkreises Böblingen, wurde kontrovers über die Waffenexporte Deutschlands in Krisenregionen diskutiert. Monfort-Montero regte die Teilnehmer dazu an, zu hinterfragen, woher sie ihre Informationen über politische Themen beziehen. Bekommen sie die aus Zeitung und Fernsehen oder vielleicht einfach nur aus Facebook-Posts, die nicht einmal mit einer Quelle belegt sind? Am Ende des Workshops stand als eine Forderung der Jugendlichen, dass die Politiker „Vielfalt gestalten“, also den Austausch zwischen den verschiedener Kulturen fördern. Nachmittags hatten dann die Politiker auf dem Podium die Gelegenheit, dazu Stellung zu beziehen. Frieder Wurster (AfD) sieht den gestalterischen Auftrag dabei nicht bei seiner Partei, sei sie doch „in der komfortablen Situation, in der Opposition zu sein.“ Er sieht die Gefahr einer „Aufweichung der deutschen Kultur“ durch Zuwanderer. Widerspruch bekam er von Ingrid Pitterle (Die Linke): „Verschiedene Kulturen können eine Bereicherung sein.“ Das sehe man schon allein an den vielen verschiedenen Restaurants. Auch Jan Hambach (SPD) fand: „Maultaschen und Spätzle passen mit Döner und Shisha bestens zusammen.“
Bildung, ÖPNV
Auch zum Thema Bildung hatten die Jugendlichen einiges zu sagen: Insbesondere beim Thema Medienbildung und Verbraucherschutz sehen sie Nachholbedarf. Jan Zinal kennt die Probleme bei der Medienbildung aus eigener Erfahrung. „Viele Lehrer haben einfach keine Lust, sich damit zu beschäftigen“, berichtete er. Wenig überraschend trieb zudem das Thema Klima und Mobilität die Schüler um. Sie schlossen sich den Forderungen nach günstigeren Bahntickets, dem Ausstieg aus der Kohlekraft, dem Ende des Müllexports und günstigeren E-Autos an. Andreas Knapp (FDP) stellte Elektro-Antriebe grundsätzlich in Frage: „Andere Ansätze wie Wasserstoffmobilität oder synthetische Kraftstoffe sind vielversprechender.“ Jan Hambach (SPD) dagegen verfolgt einen anderen Ansatz: „Wir müssen die Zahl der Autos in Ballungsräumen insgesamt reduzieren.“ Dafür setzt er sich für einen deutlich günstigeren ÖPNV und ein Jahresticket für 365 Euro ein.
Leider fehlte an manchen Stellen ob der Fülle an Themen die Zeit für eine echte Debatte zwischen Jugendlichen und Politikern. Die Forderungen der Jugendlichen blieben häufig sehr allgemein und die Antworten der Politiker etwas unkonkret. Dennoch ist sich Katrin Monauni, die als Geschäftsführerin des Kreisjugendrings Böblingen die Veranstaltung mitorganisiert hat, sicher: „Eine solche Begegnung senkt bei den Jugendlichen die Hemmschwelle, mit Politikern in Kontakt zu treten.“ So werden sie ermutigt, sich in ihrem Umfeld zu engagieren. Die Jugendkonferenz sieht sie daher als „Tool gegen Politikverdrossenheit“.
Der 18-jährige Anthony Teckhaus ist politisch interessiert und hat deshalb die Möglichkeit dankend angenommen, sich mit Gleichaltrigen über aktuelle Themen auszutauschen. „Die meisten haben auch ganz gut mitgemacht“, sagte er. Doch auch über den Dialog mit den Politikern freute er sich: „Schön, dass da jemand Interesse zeigt.“ Die Politiker jedenfalls lobten den Input der Schüler und ermutigten sie, sich jederzeit mit ihren Anliegen an sie zu wenden. Und wer weiß: Vielleicht hat die Jugendkonferenz tatsächlich den ein oder anderen motiviert, sich politisch zu engagieren.